Behind blue eyes: Mit Brillen Augen sehen

„Wohin schaut der Mann bei der Frau zuerst?“ Männer beantworten die Frage gerne mit „in die Augen“ oder mit „auf ihr Lächeln“. Doch ist das wirklich die Wahrheit? Um das herauszufinden genügen einfache Fragebögen nicht. Sozial erwünschtes Antwortverhalten, Konsistenz- und andere Effekte lassen die tatsächlichen Gedanken oft nicht ans Tageslicht dringen.

Oft sind sich die Befragten selbst auch gar nicht im Klaren, wo sie hingesehen haben. Diese Prozesse laufen meist unbewusst und damit weder steuer- noch erinnerbar ab. Das unbewusste, implizite Verhalten muss deshalb gesondert untersucht werden. Wie bei der Eingangsfrage, geht es auch bei der Werbeerfolgsprognose darum, das Unbewusste zu messen und zu visualisieren. Welche Anzeige kommt besser an, die mit oder die ohne Blondine? Diese und andere Fragen werden im folgenden Artikel auf gewohnt unterhaltsame Weise geklärt.

Eye Tracking in der Praxis

Zu diesem Zweck begleiten wir heute Max M. beim Einkauf.
Max: 37 Jahre, 1,82m, 79kg, Sehkraft 100%. Und trotzdem: Max ist Brillenträger. Doch im Gegensatz zu seinen Freunden trägt Max keine Brille vom Designer, sondern das Modell der Eye Tracking Experten von eye square aus Berlin. Die an der Brille angebrachten Mini-Kameras zeichnen Max‘ Blickbewegungen sowie die Umgebung auf. Die Marktforscher stellen Max die folgende Aufgabe: „Kaufe die Küchenrolle deiner Wahl!“ Auf dem Weg durch den Supermarkt belegt die Eye Tracking Brille Max‘ Vorlieben für frisches Obst, Sonderaktionen, italienische Rotweine und Frau Wiesner aus der Steinstraße. Doch die Marktforscher können aus den generierten Daten noch weitaus subtilere Informationen gewinnen: Kommt das neue Packungsdesign besser an als das alte? Wie unterscheiden sich Männer und Frauen in ihrem Suchverhalten? Findet sich der Kunde im Supermarkt zurecht? Oder, wie orientiert er sich überhaupt im Supermarkt? Eine aus Markensicht interessante Erkenntnis konnte eye square dabei gewinnen: Die Kunden orientieren sich weniger an Hinweisschildern, sondern vielmehr an bekannten Marken bestimmter Produktkategorien! So sucht Max die Küchentücher nicht beim Hinweisschild „Hygieneartikel“, sondern direkt neben den blau-weißen Taschentüchern, die ihm sofort ins Auge gestochen sind.

Kleiner Exkurs – Warum wir uns an Marken orientieren:
Hierzu ein einfaches Experiment: lesen Sie bitte die folgenden zwei Wörter:
Proboscis
Rüssel
Was fällt Ihnen dabei auf? Vermutlich war es leichter für Sie, das zweite Wort zu lesen, und bevor Sie nun nach Proboscis googlen, kann ich Ihnen helfen: Es bedeutet auch „Rüssel“.
Denken Sie nun bitte kurz über das Wort „RÜSSEL“ nach, bevor Sie weiter lesen.

PAUSE.
Denken Sie nun an eine FARBE.
PAUSE.

Grau! Was soll uns dieses Experiment zeigen? Zuerst einmal, dass wir mit bekannten Wörtern verschiedene Assoziationen verknüpfen und diese wiederum Assoziationen und Gedankenketten auslösen. Wie bekannte Wörter funktionieren auch starke Marken. Je stärker eine Marke im Gedächtnis verwurzelt ist, desto mehr Informationen sind zu dieser Marke abgespeichert. Dies ist auch ein Mitgrund, warum sich Max unbewusst lieber an Produktmarken (vgl. „Rüssel“ / „blau-weiße Taschentücher“) als an abstrakten Schildern (vgl. „Proboscis“ / „Hygieneartikel“) orientiert. Die Informationsaufnahme und -verarbeitung verläuft intuitiver und schneller, weil Max bereits gespeicherte Informationen abrufen kann.
Exkurs Ende

Eye Tracking – Learnings

Die für eine Produktkategorie zentralen Produktmarken sollten für den Kunden sichtbar am Anfang des Ganges und auf Augenhöhe stehen, um so die Orientierung im Supermarkt zu fördern.
Zurück zu Max‘ Shoppingtour: Max geht nun in den Gang mit den Taschentüchern und ist auf der Suche nach einer ganz bestimmten Küchenrolle, von der er kürzlich einen TV-Spot gesehen hatte. Max sucht und sucht. Sucht, sucht weiter und… nein. Erst nach 20 Sekunden fällt Max‘ Auge auf die gewünschte Marke. Was Max nicht weiß: es war gar nicht seine Schuld, dass er so lange suchen musste! Die Eye Tracking Daten zeigen eindeutig: das Key Visual, welches Max zufällig schon aus der Werbung kannte, ist ungünstig platziert und wird nicht auf Anhieb wahrgenommen. Erst nachdem Max‘ Blick zum dritten Mal die Verpackung streift ist ihm bewusst: das ist die gesuchte Küchenrolle!
Sichtlich erfreut über ihre Studienergebnisse besucht die Marktforscherin Sabrina D. (eye square GmbH) Herrn Baunti (Baunti Küchenrollen AG), den Auftraggeber dieser Einkaufsstudie. Sie berichtet Herrn Baunti von ihren Ergebnissen: „Das Key Visual muss auf der Verpackung prominenter platziert werden“, lautet die Kernbotschaft ihrer Präsentation. Der Auftraggeber staunt nicht schlecht und hat gleich den nächsten Auftrag: „Wir haben zwei Anzeigen und können uns nicht entscheiden, welche besser ist! Also ich finde ja die mit der hübschen Blondine ganz ansprechend. Meine Frau sagte dazu, ich solle weniger auf meinen Bauch hören – was auch immer sie damit gemeint hat!“ Sabrina D. nickt verständnisvoll und schlägt Herrn Baunti vor, jeweils zwei Testgruppen im eye square Labor zu untersuchen. Die Gruppen erhalten – eingebettet in eine normale Zeitschrift – jeweils einen der beiden Anzeigenentwürfe vorgelegt. Die Testpersonen werden aufgefordert, sich der Zeitschrift ca. 30 Minuten lang zu widmen. Während sich die Testpersonen mit den Zeitschriften beschäftigen, werden ihre Augenbewegungen mit Eye Tracking Brillen aufgezeichnet. Im Anschluss an das Testlesen werden die Testpersonen dann noch zu ihrem Leseverhalten befragt. Es stellt sich heraus, dass sich zwar alle männlichen Testpersonen an die Blondine, nicht aber an die Marke erinnern. Die Analyse der Blickbewegungsdaten belegt es wissenschaftlich: Die Blondine war einfach zu hübsch. Der Blick der männlichen Testpersonen trifft die Blondine („Fixation“), überfliegt das Markenlogo aber nur („Sakkade“), ohne es zu registrieren. Somit konnte die Information „Marke“ nicht bewusst aufgenommen und gespeichert werden. Die Frauen können sich bei Anzeige 1 weder an die Blondine, noch an die Marke erinnern. Doch die Daten belegen: Auch ein Großteil der Frauen hat die Blondine zumindest kurzzeitig erblickt. Diese blickten aber nur so kurz auf die Blondine, dass eine gezielte Informationsaufnahme nicht möglich war. Folglich konnten sie sich weder an die Blondine, noch an die Marke erinnern. Die Frauen aus Gruppe 2 hatten es da schon leichter: in ihrer Anzeige gab es einen attraktiven Mann zu sehen! Doch im Unterschied zur Blondinen-Anzeige, waren Markenlogo und Produkt hier geschickter positioniert, so dass sich zumindest die weiblichen Testpersonen gut an Marke und Produkt erinnern konnten. Die Männer schauten da lieber auf die Sportwagenanzeige auf der rechten Seite der Zeitschrift, wie das Eye Tracking ergab.

Weitere Learnings

Eye Catcher sind gut, sollten aber nicht die ganze Aufmerksamkeit der Betrachter auffressen (Sog. Kannibalismuseffekt). Dies kann durch Eye Tracking objektiv überprüft werden.
Eye Tracking ist ein weiteres Werkzeug, um das Markenmanagement zu professionalisieren: Dabei will Eye Tracking die Kreativität der Werber keinesfalls beschneiden, sondern vielmehr die Erfolgsaussichten der Werbung systematisch erhöhen.
Eine Woche später beim Auftraggeber: Herr Baunti blickt auf die Studienergebnisse und schaut Sabrina fragend an: „Und, was machen wir jetzt? Anzeige 2 wirkt zwar besser – aber nur auf Frauen!“ Sabrina hatte schon mit dieser Frage gerechnet und hat gleich die passende Antwort parat: „Unsere abschließende Befragung hat ergeben, dass in Familien vor allem die Frauen entscheiden, welche Haushaltsartikel gekauft werden. Die männliche Käuferschicht besteht somit hauptsächlich aus Singles, die nebenbei bemerkt, auch kaum Küchentücher verbrauchen! Somit sollten wir uns bei der Werbung explizit auf die Frauen konzentrieren!“ Herr Baunti schaut verdutzt: „Überzeugt! Vielen Dank! So viel zu meinem Bauchgefühl… ich sollte mehr auf meine Frau hören.“ „Oder auf die Augen ihrer Kunden“, ergänzt Sabrina schmunzelnd.

Eye Tracking und Marktforschung

Gute Marktforschung beschränkt sich nicht nur auf die apparative Messung des unbewussten Verhaltens, sondern nutzt die Befragung für zusätzlichen Erkenntnisgewinn.
Eye Tracking lässt sich nicht nur bei Verpackungs- oder Anzeigentests, sondern auch auf vielen anderen Gebieten wie TV-Spots oder in der Usability-Forschung anwenden. Eye Tracking ist somit ein flexibles Instrument, welches uns den Blick in das Unbewusste erlaubt.